Der „Stein des Guten Glücks“

Altar der Agathe Tyche

Altar der Agathe Tyche

Der «Stein des Guten Glücks» oder «Altar der Agathe Tyche», so heißt das Denkmal, das Johann Wolfgang von Goethe zu Beginn des Jahres 1777 in den Ilmwiesen zu Weimar setzen ließ. Seine Form war denkbar einfach: eine Kugel, die auf einem mächtigen Quader sitzt. Hier, ganz in der Nähe seines damaligen Wohnhauses, dem Gartenhaus, steht das Denkmal noch heute. Für den 28jährigen Goethe hatte es eine ganz persönliche Bedeutung: Er war ein Jahr zuvor von Frankfurt nach Weimar berufen worden und hatte dort eine wunderbare Frau kennengelernt: Charlotte von Stein. Eine «Seelenfreundin», die auf sein schwankendes, unruhiges Temperament einen besänftigenden, mäßigenden Einfluss ausübte. Die ihn, der sich «wie ein Ball, den eine Stunde der anderen zuwirft», fühlte, zu Ruhe und Klarheit anhielt.
Das Denkmal war ein Geburtstagsgeschenk für Frau von Stein.

Andrea Alciati: Ars Naturam Adiuvans in Emblematum liber 1550

Andrea Alciati: Ars Naturam Adiuvans in Emblematum liber 1550

Seine Bewunderung erklärt sich durch die Widmung an die «Agathe Tyche», die Göttin des Zufalls, die in der Antike häufig als Beschützerin des Glücks einer Stadt verehrt wurde. Tyche ist hier jedoch nicht als Person dargestellt: Goethe wählte für sein Denkmal eine explizit symbolische Formensprache. Sie geht auf Sinnbilder zurück, die schon seit der Renaissance bekannt waren. Danach verkörpert der solide steinerne Block Stabilität und Beständigkeit, auch die Unbestechlichkeit der Justizia. Die Kugel dagegen gehört zu dem Bereich des launischen Glücks, der Labilität, der ruhelosen Bewegung. Werden diese beiden gegensätzlichen Elemente miteinander kombiniert, so heben sie sich nicht etwa gegenseitig auf: Nein, sie verstärken einander und erzeugen so ein Gebilde mit einer neuen – doppelsinnigen inhaltlichen Aussage. Die einander widerstrebenden Kräfte streben jetzt nach Ausgleich.

Für Goethe bedeutete dies: Überwindung der jugendlichen Leidenschaft, der ungezügelten Emotionalität, und «Streben nach Reinheit» und Ordnung: Und dies, ohne dass er seine kreative Freiheit aufgeben musste. Das Denkmal wurde ihm zum Stabilisator: Es sollte ihn täglich an das erinnern, was ihm Charlotte von Stein vermittelt hatte: «Dieser schöne Begriff von Macht und Schranken, von Willkür/ Und Gesetz, von Freiheit und Maß, von beweglicher Ordnung, Vorzug und Mangel erfreue dich hoch.»

Dr. phil. Karen Michels, Hamburg

Skulptur